Der Fall: Irgendwo in Deutschland an einer Grundschule. Die Grundschule ist Teil eines getrennt arbeitenden "Schulkomplexes" mit einer angegliederten Sonderschule. Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Sonderschule bzw. alle bestehenden Sonderschulen zu schließen. Dabei kommen ihr auch Elternwünsche zur Integration ihrer sonderschulbedürftigen Kinder in die Regelschule entgegen. Warum nicht, werden Sie sagen. Warum sollen Schüler aus der "Gemeinschaftsschule" ausgeschlossen werden....Integration ist modern und angesagt.......
oder der festen Überzeugung sind, dass ihr Kind schon gar nicht auf die weniger angesehene "Sonderschule" gehöre..........
In diesem Beitrag geht es um die Folgen einer Regelbeschulung für das betroffene Kind, die betroffenen Mitschüler und die betroffenen Lehrkräfte:
Es geht um ein schwer verhaltensgestörtes Mädchen, nennen wir sie Franka*. Franka's* Mutter ist geschieden und wieder verheiratet. Franka's Halbschwester Isolde* ist ein paar Wochen alt, als die Lehrerin Frau Meier* eine dritte Klasse übernimmt. Normalerweise führen Lehrkräfte in diesem Bundesland ihre Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse. Durch die Versetzung einer Kollegin, musste jene Klasse nun ab der dritten Klasse von Frau Meier* weiter geführt werden. Frau Meier* teilt sich diese Klasse mit dem Schulleiter, welcher stundenweise darin tätig ist. Frau Meier* hatte diese Klasse mitsamt jener verhaltensgestörten Schülerin vom Schulleiter anvertraut bekommen, weil sie besonders herausragende Fähigkeiten der Unterrichts- und Klassenführung besitzt. Jene Lehrerin ist knapp über 30 Jahre alt und genießt auch bei Schülereltern ein sehr hohes Ansehen.
Frau Meier* kann stolz auf ihre bisherige Unterrichtstätigkeit zurückblicken: eine Lehrerin, welche für viele die Kriterien einer idealen Lehrkraft erfüllt: hohes Einfühlungsvermögen,Sensibilität, Gesprächskompetenz, Konsequenz, Unterrichtskompetenz und Organisationstalent......
Ja, es ist nur zu verständlich, dass die Schulleitung jene Lehrkraft für diese besondere Herausforderung eingesetzt hat. Frau Meier* holt sich Rat von einer Sonderschulpädagogin, einem Psychologischen Psychotherapeuten und liest entsprechende Fachliteratur um ihrer Klasse und Franka's Bedürfnissen gerecht zu werden......
Geduldig übersteht sie die morgendlichen 5-6 Unterrichtsstunden. Sie versucht sich zu "entspannen", wenn sie in anderen Klassen unterrichten darf und versucht mit den ununterbrochenen Unterrichtsstörungen, Schrei- und Zornesanfällen und den aggressiven, manchmal gewalttätigen Ausbrüchen von Franka fertig zu werden. Es werden Verhaltensprogramme aufgesetzt.....erst wenn mehrere davon scheitern, kann sie eine Umschulung von Franka* beantragen... und auch diese dauert, denn eigentlich gibt es dafür wieder Wartezeiten...
Für Frau Meier* völlig ungewohnt, ist ihr Unterricht nun ständig durchzogen von Franka's* ununterbrochenen Störungen und aggressiven Ausbrüchen. Franka schafft es höchstens 10-15 Minuten einmal ruhig zu sitzen und eine Aufgabe zu machen. Frau Meier* lebt von Wochenende zu Wochenende. Zunehmend fällt die Schulklasse in ihren Leistungen zurück, weil auch die Schüler durch die ständigen Störungen von Franka nicht mehr aufmerksam und konzentriert dem Unterricht folgen können.
Sowohl die Sonderschulpädagogin, als auch der Psychologische Psychotherapeut sehen keine Möglichkeit, dass Frau Meier bei einer Klassengröße von 25 Schülern, Franka's Ausbrüche so beherrschen kann, dass ein störungsfreier Unterricht stattfinden kann.
Frau Meier*, eine ansonsten sehr robuste und leistungsfähige Lehrerin ist zunehmend erschöpft nach ihren Schulvormittagen. Sie kommt von der Schule und muss erst einmal 2-3 Stunden schlafen. Nachts kann sie kaum noch schlafen. Ihre Kräfte schwinden zunehmend und Frau Meier droht ernsthaft krank zu werden....
Ihr "Glück" im "Unglück" des Kindes Franka: Franka verletzt sich selbst so stark, dass sie für vier Wochen in eine psychiatrische Klinik kommt......
und Frau Meier* kann von Stund an nachts wieder bestens schlafen. Für vier Wochen genießt diese Schulklasse eine Ruhe, welche sie zuvor noch nie kennen gelernt hatte, denn Franka* ist ja seit der ersten Klasse dabei......
Nun ist meine - leider - reale Fallbeschreibung noch nicht zu Ende.....denn Franka* kommt zurück und die Schule ist verpflichtet, die Schülerin wieder in den vorherigen Klassenverband aufzunehmen. Eine Alternative gibt es nicht........Da jedoch durch den stationären Aufenthalt sich die Gesamtsituation von Franka* zuhause nicht verändert hat und die Rahmenbedingungen wieder die alten sind, hat sich weder für die Klasse, die Lehrerin und Franka etwas verändert. Auch die Gefahr, dass Franka sich jederzeit etwas antun könnte, ist noch vorhanden.....
So beginnt also dasselbe "Spiel" wieder von vorne...hmm...nein, nicht ganz: denn Frau Meier* und ihre Klasse konnte sich in den vier Wochen nicht ausreichend erholen. Frau Meier* beginnt an sich selbst und an ihren pädagogischen Fähigkeiten zunehmend zu zweifeln, auch wenn die Fachleute ihr verstärkt versichern, dass die Betreuung eines derart schwer verhaltensgestörten Kindes in einem Klassenverband von 25 Schülern auch für Professionelle, d.h. für ausgebildete Fachleute unmöglich ist...
Frau Meier* weiß, dass ihre dritte Klasse hinsichtlich ihrer schulischen Leistung deutlich hinter der Parallelklasse liegt. Sie sieht keine Möglichkeit, wie sie die Leistungsunterschiede noch ausgleichen kann. Frau Meier* muss sich völlig von ihren gewohnten, vorzeigbaren "Leistungen" als Lehrerin verabschieden.. ...
Die Eltern von Franka's* Mitschülern und Mitschülerinnen äußern ihre Unzufriedenheit, Kollegen beklagen sich über die schwierige Situation in Frau Meier's* Klasse. Frau Meier* wird zunehmend depressiv und fühlt sich zwischenzeitlich völlig hilflos der ausweglosen Situation ausgeliefert. Ein Ausweichen ist unmöglich und sie ist an ihrem Limit angekommen.....und wird krank........
Nun müssen die Schulleitung und die Kollegen versuchen...dieser Situation Herr zu werden......
FAZIT:
Eine Schulklasse, d.h. 24 Schüler und ihre Lehrer "leiden" nun fast 3 Schuljahre unter einer "zwangsintegrierten" Schülerin. Die "Stimmung" in der Klasse und bei den Kollegen ist entsprechend gedrückt. Eine angemessene Lernsituation nicht herstellbar....... Wer denkt hier nach? Wenn Vorschriften pädagogisch-psychologisches Handeln völlig unmöglich machen? Lehrerversagen oder Politikversagen?
* Namen der Personen geändert