Dienstag, 26. Februar 2008

Recherche ist Luxus! Nachdenken auch? : Spiegel-Titelstory "Wie viel Mutter braucht das Kind?" (1)

"Recherche ist Luxus! Nachdenken auch? » Mehr oder minder läßliche Sünden des konventionellen Journalismus" so titulierte Marc Scheloske in seinem Blog Wissenswerkstatt die Oberflächlichkeiten des konventionellen Journalismus und nahm auch "renommierte" Blätter wie FAZ, SZ, FR, Spiegel und Co. aus seiner Kritik nicht heraus.

Leider zu Recht, wie die aktuelle Spiegel-Titelstory "Krippe oder Kinderzimmer" - Wie viel Mutter braucht das Kind? zeigt:
"Glaubenskrieg ums Kind" so lautet dann auch die Überschrift. Das Blatt mit dem Ziel aufzuklären und kritisch zu sein, kündigt darin an:"Wissenschaftler klären, wie viel Mama das Kind wirklich braucht - und warum die Kitas dringend besser werden müssen"

Für Fachleute bleibt allerdings nicht viel übrig, als ein auf 11 Seiten praktiziertes redundantes Hin- und Her zwischen Einzelfallbeispielen, Forschungsergebnissen aus den USA (ohne nähere Quellenangaben), aus dem Zusammenhang gerissene Einzelkommentare ausgewählter WissenschaftlerInnen und "Stimmen" des populistischen Buchmarktes.

Heraus kommt eine bunte Mixtur im Paella-Charakter zwischen nicht repräsentativen Einzelfallbeispielen, oberflächlich verarbeiteten Forschungsergebnissen und den Kommentaren bzw. persönlichen Meinungen der Wissenschaftler, sowie radikal-tendenziösen, abschreckenden historischen "Anschauungsbeispielen". So möchten die Autorinnen belegen, dass ihr reißerisch formulierter Titel mit der zentralen Frage: "Werden die kleinen zu Seelenkrüppeln, wenn Fremde sie betreuen"? durch die Wissenschaft eindeutig widerlegt sei.........

Die Methodik der Darstellung braucht einen Vergleich mit werbetechnischen "Manipulationstechniken" nicht scheuen. Für interessierte Sozialpsychologen gäbe es einiges zu analysieren: z.B. wie Mütter, welche in den ersten Lebensjahren ihren Aufgabenbereich in der Betreuung ihres Kindes sehen, zu "rückständigen" Überglucken" abgestempelt werden und modernen "Karrierehühnern" angeblich - wissenschaftlich belegt - das Zepter gereicht wird.

Die Autorinnen des Artikels "Andrea Brandt, Rafaela von Bredow und Merlind Theile" vermeiden eine wissenschaftliche Analyse und hauen dem Leser ein gelungenes Beispiel für ihren Standpunkt (pro Kita bereits im Kleinkindalter) nach dem anderen um die Ohren. Die angeblichen Forschungsergebnisse betreffen bei näherem Hinsehen nur ganz bestimmte Betreuungsverhältnisse im Ausland und gelten gar nicht für Kinder, welche in Deutschland zuhause von ihren Müttern betreut werden.

Meinen Beitrag werde ich, der Übersichtlichkeit wegen, aufteilen und heute nur in Stichworten die "Schwachpunkte" der pseudowisenschaftlichen "Spiegel-Analyse" vorstellen. Details werde ich in den folgenden Beiträgen behandeln.

1. Die vorbildlichen Einzelfälle:
Die im Spiegel vorgestellten Fälle betreffen außergewöhnliche und gelungene Einzelsituationen. Da die Kleinkind- und Vorschulkindergärten in unserem Land schlecht ausgestattet sind und mit wenig (qualifiziertem) Personal auskommen müssen, werden Beispiele aus dem Ausland herangezogen.
Allerdings sind Einzelfälle niemals Belege für wissenschaftliche Hypothesen. In der Spiegel-Story werden die Einzelfälle aber so behandelt.

2. Die befragten Wissenschaftler:
Die erwähnten Wissenschaftler kommen an passender Stelle mit Aussagen zu Wort, welche keine detaillierten Forschungsergebnisse, sondern nur Einzelmeinungen enthalten. Damit ist allerdings auch die wissenschaftliche Basis sehr dünn: Auch wenn die Doktoren- und Professorentitel beeindrucken, so können diese keine wissenschaftlichen Studien ersetzen.
Auf die Aussagen bzw. Forschungen der genannten Wissenschaftler komme ich in meinem nächsten Beitrag zurück.

3. Die wissenschaftlichen Belege
Erwähnt werden hier insbesondere amerikanische Studien, da zu diesem Thema so gut wie keine deutschen Studien vorliegen. Im Artikel fehlen detaillierte Angaben. Die Autorinnen scheinen die genannten Studien selbst nicht gelesen zu haben, ansonsten hätten sie darüber nachdenken müssen, dass in Amerika völlig andere Verhältnisse in den öffentlichen Erziehungseinrichtungen herrschen, welche so nicht auf unsere übertragen werden können. Weiter wurden Einzelergebnisse unreflektiert herangezogen und auf das gewünschte Ergebnis bezogen.

Begriffsverwendungen wie "Babypsychologe" zeigen, dass die Autorinnen wohl wenig Kenntnisse über die hier zur Beurteilung der Sachlage notwendigen Wissenschaftsgebiete haben. Denn bislang gibt es noch keine "Babypsychologen" ;-))