Mittwoch, 9. Januar 2008

Das "Kopfnoten-Dilemma" in NRW (Teil 1)

Zitat aus der Webseite des Schulministeriums:
Das neue Schulgesetz
Jetzt ist es da - das neue Schulgesetz. Vieles wird sich für Dich verändern, doch zwei Dinge sind besonders wichtig: Unterricht soll Spaß machen!
Kopfnoten- wenn mehr als Leistung zählt.
[...]
Gute Noten im Zeugnis sind natürlich sehr gut. Doch heute zählt mehr: soziale Kompetenz zum Beispiel. Also Engagement, Einfühlungsvermögen oder Hilfsbereitschaft. Eben Werte, die den Lebensweg entscheidend bestimmen. Darum gibt es nun auf dem Zeugnis auch "Kopfnoten" und ein Bemerkungsfeld, das besondere schulische oder außerschulische Leistungen, wie z.B. ehrenamtliche Tätigkeiten, würdigt.
"Der Kopfnotenparagraf § 49


Ab dem dritten Schuljahr bekommen Schüler eine Note für das Arbeitsverhalten und eine Note für das Sozialverhalten

Auf der Webseite des Kölner Verbandes für Bildung und Erziehung (VBE) - Suchwort "Kopfnoten" ist zu lesen:
Zurzeit wird in den Schulen viel über dieses Thema diskutiert, weil das Schulhalbjahr sich dem Ende zuneigt und Lehrerinnen und Lehrer zum ersten Mal an den Handreichungen orientierte Kopfnoten vergeben müssen. Viele Lehrerinnen und Lehrer halten es für schwierig bis unmöglich, das Arbeits- und Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen in Notenform zu beurteilen.


Laut Handreichung des Schulministeriums zur Umsetzung der "Kopfnotenzensurgebung" werden die einzelnen Teilkategorien mit den Notenstufen:

  • sehr gut (= entspricht den Anforderungen in besonderem Maße)
  • gut (= entspricht den Anforderungen in vollem Maße)
  • befriedigend (= entspricht den Anforderungen im Allgemeinen)
  • unbefriedigend (= entspricht den Anforderungen noch nicht)
bewertet.

Das klingt ja nun alles ganz nett. Aber, wie genau bewertet man "Arbeits-" und "Sozialverhalten" ?

Diese Frage stellen sich in diesen Tagen Lehrer, Schulleiter, Zeugniskonferenzen, Schüler und Eltern. Alle sind sie ratlos. Weiß doch das Schulministerium selbst nicht so genau, wie man diese "Leistungen" gerecht bewerten kann.

Gerade Schüler sind zu Recht sehr kritisch und möchten wissen, auf welche Art und Weise ihre Lehrer die Zensuren bilden. Aber nicht nur die Schüler sind kritisch, sondern auch ihre Lehrer. Gerade in den vergangenen Tagen wird fleißig diskutiert, die Lehrerschaft ist gefrustet und fragt sich:

Was entspricht den Anforderungen ? Wo liegen die Unterschiede zwischen
  • a) in besonderem Maße
  • b) in vollem Maße
  • c) im Allgemeinen
  • d) entspricht den Anforderungen noch nicht
Liebe Eltern, liebe LehrerInnen, liebe Schüler und liebe Leser. Auch wenn ich fachlich auf die Bereiche "Diagnostik" spezialisiert bin, so kann ich diese Frage nicht zufrieden stellend beantworten. Dazu müsste das Schulministerium erst genau definieren, was es unter Arbeits- und Sozialverhalten versteht und was die oben beschriebenen (in besonderem Maße, im Allgemeinen, entspricht Anforderungen etc.) abstrakten Begriffe genau bedeuten sollen.

Das Kopfnoten-Dilemma:
Das Kopfnoten-Dilemma beginnt damit, dass eine Lehrkraft juristisch gesehen eine sogenannte "Begründungspflicht" für ihre Bewertung hat, d.h. der Prüfling (Schüler) bzw. seine gesetzlichen Vertreter haben einen Anspruch auf Begründung einer Prüfungsleistung.


Diese "Begründungspflicht" enthält folgende "Bausteine":
  1. Die Lehrkraft muss eine "Relation" zwischen Zensur und Arbeits-bzw. Sozialverhalten herstellen können.
  2. Die Lehrkraft hat dabei einen "Bewertungsspielraum". Ob dieser überschritten wird, lässt sich an der Begründung der Zensur ablesen.
  3. Die Begründung für die erteilte Zensur muss anhand der wesentlichen Gedankengänge der Lehrkraft schlüssig nachzuvollziehen sein.
  4. Fehler beim Bewertungsvorgang führen regelmässig zur Rechtswidrigkeit der Bewertung.
All diese Kriterien sind noch ziemlich undifferenziert. Die Rechtsprechung hat zur Begründungspflicht einige Kriterien ausgearbeitet, welche berücksichtigt werden sollten:
  1. keine pauschale Begründung und Beurteilung
  2. keine willkürliche Entscheidung
  3. keine sachfremden Erwägungen
Nun das wären die Pflichten von Lehrkräften, welche bei der Zensurengebung zu berücksichtigen wären. Und Sie fragen sich nun, wie Sie diese Kriterien anhand der Vorgaben umsetzen könnten?

Utopia: Verhaltensbewertung der Schüler anhand diagnostischer Kriterien, welche dann der gesetzlich vorgegebenen "Begründungspflicht" genügen würden:

Arbeitsverhalten und Sozialverhalten werden durch das Handeln eines Schülers "sichtbar". Diese Handlungen müssen (genau) beobachtet werden.

Es wird unterscheiden zwischen „naiver“ (=vorwissenschaftlicher) und „systematischer“ (= wissenschaftlich fundierter) Beobachtung. . Die pädagogische Diagnostik verwendet systematisierte, d.h. mit Kategoriensystemen gesteuerte Beobachtungen als Beurteilungsbasis.

Da jede Beobachtung den gleichen individuellen Mechanismen unterliegt wie jeder andere Wahrnehmungsprozess, ist sie grundsätzlich auch den gleichen Einschränkungen, Verzerrungen und Fehlern wie jeder andere Vorgang der Wahrnehmung ausgesetzt.

Jeder Beobachter begegnet dem Beobachtungsobjekt bzw. –situation mit ganz bestimmten persönlichkeitsspezifischen Erwartungshaltungen, Interessen, Stimmungen, Kategorien, Vor-Urteilen etc.

Beobachtung bedeutet Selektion, d.h. die Beobachtung reduziert das Geschehene auf begrenzte Verhaltensaspekte. (Atteslander (1975, S. 138): „Wir glauben nur das, was wir sehen – leider sehen wir nur, was wir glauben wollen.“)

Wissenschaftlich fundiertes Beobachten findet dann statt, wenn nach allgemein definierten Kriterien strukturiert beobachtet und ebenso systematisch aufgezeichnet wird, d.h.

  1. Es muss bestimmt werden, welches Verhalten bzw. Verhaltensmerkmale zu beobachten sind.
  2. Es muss festgelegt werden, worauf bei den ausgewählten Verhaltensausschnitten zu achten ist und wann beobachtet werden soll.
  3. Die Beobachtungen müssen vollständig aufgezeichnet werden.
  4. Aus den Beobachtungen müssen kriteriengeleitet Rückschlüsse gezogen werden.
  5. Ähnliches Verhalten kann auf unterschiedlichen Ursachen basieren. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollte mit dem jeweiligen Schüler ein Gespräch geführt werden, um die Beweggründe seines Handelns zu erfahren.

Alle Aktivitäten das Arbeits- und Sozialverhalten betreffend, werden im Konsensverfahren aller Lehrkräfte definiert und gewichtet. Die Gewichtung erfolgt über ein Punktesystem. Damit können alle relevanten erwarteten Aktivitäten erfasst und gewichtet werden. Anschließend werden Prozentränge zum gewollten Ziel (in besonderem Maße, in vollem Maße etc.) hergestellt. In einem weiteren Schritt wird beschlossen, mit welchem Prozentrang eine ausreichende Leistung erreicht worden ist. In einem weiteren Schritt werden die verbleibenden Prozentränge auf die restlichen Notenstufen verteilt.

Ende des Utopia-Ausfluges..........

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